Neujahrswunsch des sarganser Nachtwächters

(Chronik 1996 zusammengestellt von Josef Lutz, Sargans)

 

Während Jahrhunderten oblag dem Nachtwächter des Grafenstädtchens die verantwortliche Aufgabe, jahrein und jahraus, jede Nacht, durch die Gassen über die Strasse zu patrouillieren, die Stunden anzukünden, aber auch als Wächter über Feuer, sowie Ruhe und Ordnung zu amten.

 

Der bekannte sarganser Geschichtsforscher und Volkskundler Anton Zindel-Kressig (1872 - 1932) aus Schaffhausen schrieb 1902 in der Schriftenreihe "Miszellen", unter dem Titel "Neujahrswunsch in Sargans":

 

"Das Neujahrswünschen gehört zu den Funktionen des Nachtwächters, wie wohl zu den Freiwilligen. Die Ledigen begleiteten dann den Nachtwächter, um ihm alle möglichen Sachen, die Leute nicht gerne hörten, einzuflüstern. Es war in der Folge leicht, weil dem Wächter überall zum trinken gerufen wurde, so dass er es in seiner Begeisterung mit dem Wünschen nicht mehr so genau nahm. Auch kam es vor, dass die Ledigen an seiner Stelle anfingen zu Wünschen. Wie es da zuging, bis die Wünschenden in die Ausburgerstadt und von da am Morgen wieder in die Stadt kamen, kann man sich denken!"

 

Der erst kürzlich verstorbene Heimatkundler und Lehrer Ernst Geel (1906 - 1996) aus Sargans schrieb in seiner Mundartplauderei "Lousen, was wind mi-er öü sägä" im urtümlichen Sarganserdialekt:

 

"Ä sou ischt dr nachtwächter z altem im ganzä stettli un in dr usburgerschaft überall umäzougä. Är isch still gstandä vor jedem hus und hät allnä lüttä z nöüjouhr uf di-e art und wys agwüscht. natürli hindem lütt etschä-nä schnäpsli oder biräbrout gih. bis dr wächter dinn etschä vu proud, töübili, farb und zrugg chuh isch ins bett, hätt mänä nid müessä wiegä. Är isch nou sövl schnäppsli halt etschä ä suberä götti worde. jou, ä sou isch!

Äs isch ettli mouhlä wieder nöüjouhr gsieh sitt dehnä altä zyttä z sargans z nöüjouhr dä lüttä denäwäg aagwüüscht:

 

"lousend, was will-i sägä,

d'gloggä hät zwölfi gschlagä.

ds alt jour ischt verblichä,

und ä nöüs ihägschlichä.

dm armä wiä dm richä.

jetz wüschi dm .........

sinere frau, sinä sühnä und töchterä,

ä guets, glügghaftigs, freudrichs nöüs jour!

und was-mer wüschen, werdi wour,

gott gäb üs allä ä guets nöüs jour!"

 

Die Knabengesellschaft Sargans

 

Wie dann dieser schöne Brauch, das "Neujourwüsche" des Nachtwächters von der sarganser Knabenschaft als "Neujousingä" übernommen und bis heute gewissenhaft weitergeführt wurde, berichtete 1916 ausführlich der bekannte Volkskundler und Heimatchronist Dr. Werner Manz (1882 - 1954) aus Sargans in seinem wertvollen ethnografischen Buch "Volksbrauch und Volksglaube des Sarganserlandes" unter dem Thema "Knabenschaften":

 

"Silvester und Neujahr. Am Altjahrsabend, nachdem die Glocke die zwölfte Stunde geschlagen, erdröhnen Böller- und Flintenschüsse und klingen von der Knabenschaft der Einwohnerschaft dargebrachte Neujahrswünsche und Lieder durch die Stille der Nacht. Der einfache, aber sehr melodiöse und heimelige Sang, den die "Ledigen" von Sargans, beim "Pfarrhof", dem Sitz des geistlichen Oberhauptes der Gemeinde, beginnend, fast vor jedem Hause erschallen lassen.

 

Der später vereinfachte "Sarganser Neujahrswunsch", der heute noch von der Knabengesellschaft Sargans vierstimmig gesungen wird, wurde 1920 vom sarganser Lehrer Viktor Albrecht ( 1885 - 1962) für vierstimmigen Männerchor arrangiert.

 

Die Statuten aus dem Jahre 1833

 

Der Volkswissenschafter und Heimatkundler Anton Zindel-Kressig (1872 - 1931) schrieb 1905 in seiner Schriftenreihe "Miszellen" unter dem Titel "Die Knabengesellschaft Sargans":

 

Unter den Papieren meines Grossvaters sel. entdeckte ich nun zu meiner Freude die vollständigen Statuten der ehemaligen Knabengesellschaft Sargans, die ich ihres allgemeinen Interesses wegen dem schweiz. Archiv für Volkskunde nicht vorenthalten will. Das Schriftstück trägt den Kantonsstempel, der mit 8 Kreuzer bezahlt werden musste; da zu jener Zeit der Hektograph noch nicht bekannt war und die Abschreiberei zu viel Zeit gekostet haben würde, ist anzunehmen, dass wir es hier mit den Originalstatuten und zwar mit dem einig vorhandenen Exemplar zu tun haben. Der Zustand des Manuskriptes lässt auch mit Recht darauf schliessen. Das Schriftstück lautet folgendermassen:

 

Organisation der Knabengesellschaft zu Sargans:

 

Art. 1

Die Erwachsenen Knaben bilden unter sich eine eigene Gesellschaft.

 

Art. 2

Mitglieder derselben werden alle diejenigen, welche sich durch eigene Unterschrift in selbe aufnehmen lassen.

 

Art. 3

Sie bleiben so lange Mitglieder dieser Gesellschaft, als sie nicht durch Verheiratung selbst austreten, oder wegen Übertretung der Satzungen nach denselben ausgeschlossen werden.

 

Art. 4

Die Gesellschaft wählt aus ihrer Mitte drei Spielmeister, alljährlich an der alten Fastnacht.

 

Art. 5

Da Ordnung und Eintracht für jede gute Gesellschaft notwendig sind, so machen sich die Knaben heischig, bei ihren Stubeten die Polizeistunden möglichst genau inne zu halten, alle Ausbrüche von Roheit und Mithwillen auf der Gasse und Strasse möglichst zu hindern, und dadurch dem Staate einen beweis ihrer besonderen Achtung für seine Verordnung gegen Nachtschwärmereien und nächtlichen Unfug zu geben.

 

Art. 6

Sollte jemand aus der Knabengesellschaft selbst nach 10 Uhr Abends herum lärmen, oder was immer für einen Unfug treiben, so soll er von den Spielmeistern notiert und bei der nächsten Zusammenkunft der Gesellschaft angezeigt und nach der Grösse des Vergehens das erste mal mit einer Mahnung entlassen, oder von 12 bis 40 Kreuzer, das zweite mal von 20 Kreuzern bis fl. 1. Das dritte mal aber von 40 Kreuzern bis fl. 1:21 Kreuzer bestraft werden. Sollte nach dreimaliger Korrektion der Betroffene sich nicht bessern, so soll er das als unverbesserlicher Nachtschwärmer und roher Ruhestörer aus der Gesellschaft ausgestossen werden.

 

Art. 7

Um die Ehre der Gesellschaft sowohl als auch der Gemeinde zu erhalten, soll niemand, er sei fremd oder einheimisch, weder vor noch nach 10 Uhr Abends weder in, noch ausser den Häusern von den Mitglieder der Gesellschaft auf was auch immer für eine Weise geneckt, beschimpft oder beleidigt werden; da Wiederhandelnde sollen nach Art. 6 bestraft und behandelt werden; ausgenommen, wenn Einheimische oder Fremde sich unanständig und roh betragen, und Mitglieder der Gesellschaft sie auf gehörige Art zur Ordnung weisen, aber statt Folgsamkeit lärmende Wiederspendigkeit finden würden oder wenn der Unfugtreiber mit ihnen gar Streithandel anfangen sollte.

 

Art. 8

Zur Ehre der Gesellschaft haben die Mitglieder Zech- und Spieltische sowie alle Saufgelagen sorgfältig zu meiden, und nur an solchen Spielen und geselligen Vergnügen Teil zu nehmen, wo die Müssigkeit nicht überschritten wird. Um daher die Spielsucht nicht aufkommen zu lassen wird jedes Mitglied, das innert 24 Stunden mehr als 1 fl. verliert, um eben so viel gestraft werden, als er über benannten Gulden verspielt.

 

Art. 22

Alle in die Gesellschaft noch nicht aufgenommenen Jünglinge sind sorgfältig von ihren Versammlungen auszuschliessen und zur Nachtzeit auf der Gasse oder bei der Stubeten zu vermeiden.

 

Art. 23

Diese Organisation soll jedem eintrettenden Gesellschafter vorgelesen und von demselben unterschrieben werden

 

Art. 24

Alle Jahre soll eine Revision der Organisation und Satzungen der Gesellschaft statthaben und durch eine Mehrheit der Stimmen geändert werden können.

Sargans, am 11. März 1832 Die Gesellschaft: in ihrem Namen: (sig.) J.a. Broder

 

Art. 25

Niemand soll in die Gesellschaft eingekauft werden dürfen, wenn nicht die Hälfte von den so genannten alten Gesellschaftern besammelt sind oder solches schriftlich erlaubt haben. Da Wiederhandelnde sollen noch über die Einkaufstaxe mit 1 franc bestraft werden.

 

Vorstehende 25 Artikel sind von den versammelten Mitgliedern angenommen und festgesetzt.

 

Sargans, den 3. März 1833. Aus Auftrag der Gesellschaft: (sig.) J.a. Broder

 

Durch das glückliche auffinden dieser Originalstatuten der KGS durch Anton Zindel, wird das Grünungsjahr 1833 sicher belegt. Die Knabengesellschaft Sargans besteht heute (2011) also mindestens seit 178 Jahren.

 

Aus diesen Statuten, die während den vielen Jahren mehrmals der neuen Zeit angepasst wurden, aber auch aus den alten mündlichen Überlieferungen ist offenkundig, dass die KGS, Teils seit Anfang und Teils im laufe der Zeit folgende schöne Aufgaben übernommen hat: (Aufzeichnung des Historikers Dr. Leo Pfiffner (1992) Mels, langjähriger Chefredaktor des "Sarganserländers", in seinem Werk "Brauchtum im Sarganserland")

 

- "Spielmeister" beim Fasnachts- und Chilbitanz

- "Neujahrssingen"

- "Neujahrsball der KGS"

- "Maiä-Manä-Uhfhinggätä"

- "Spalier stehen" bei Trauungen von KGS-Mitgliedern

 

In den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts kamen folgende Bräuche dazu:

 

- 1. August-Gonzenhöhenfeuer (1966 Brauch und Verpflichtung von den Gonzenbergwerkknappen übernommen)

- Holzen im Gonzenwald (Holzaufbereitung für das Altersheim Sargans)

- Reisen, Ausflüge, Bergtouren

 

Der Volksbrauch "Maiä-Manä-Uhfhinggätä" wurde vor rund 40 Jahren abgeschafft, weil daraus immer wieder Streitigkeiten entstanden. Der "Spielmeisterbrauch" ist auch seit vielen Jahrzehnten ausgestorben. Nahezu nichts mehr ist von der ursprünglichen sittenrichterlichen Tätigkeit der "Knabenschaften" erhalten geblieben. Sie überwachen nicht mehr Religiosität und Moral und der "Kiltgang" der Mitglieder und Fremden ist frei, ohne Aufsicht der sogenannten "Gärtners" oder "Mädchenvogts". Auch der Lebenswandel ist nicht mehr überwacht und Maisbriefe und Maismänner waren später eher Ausdruck von Unfug und Schabernack als gezieltes und verantwortungsbewusstes Eingreifen der Knabenschaft. So die Aufzeichnungen von Dr. Leo Piffner aus Mels.

 

Die neusten KGS-Statuten von 1993 umschreiben den Zweck der heutigen KGS folgendermassen:

 

- Förderung der Pflege des kameradschaftlichen Lebens

- Die KGS ist bestrebt, dass die althergebrachten Traditionen der sarganser Volksbräuche erhalten bleiben

 

Alle Sarganser und alle begeisterten Brauchtumsfreunde hoffen, dass dieser edle Wille noch weitere Jahrhunderte die Herzen unserer ledigen Männer durchdringt und so diese schönen Sitten erhalten bleiben.